In diesem Beitrag der Artikelserie „Lievito Madre” beschreibe ich, wie man einen Weißmehl-/Weizenmehlsauereig-Starter ganz einfach aus Mehl und Rosinensud selber hergestellt. Vom ersten Handgriff – dem Einweichen der (unbehandelten) Rosinen am Vorabend des ersten Tages – bis zum ersten damit gebackenen Brot dauerte es bei mir 17 Tage.
Am 30. Tag habe ich mit dem Starter ein Brot aus 100% Hartweizengrieß gebacken. Es konnte mit einem echten Pane Pugliese oder gar einem Pane di Altamura geschmacklich nicht mithalten, schmeckte aber besser als das, was manchmal ausserhalb Apuliens unter diesem Namen verkauft wird
Lievito Madre-Artikelserie
Was Lievito Madre – abgekürzt LM – ist, wie man ihn durch Trocknung langzeitkonserviert, wie man ein sensationelles Brot ohne Kneten damit bäckt und weitere Themen werden in anderen Beiträgen dieser Artikelserie behandelt. In diesem Beitrag geht es um die Herstellung seines eigenen, einizigartigen LM aus Mehl und Rosinen.
- Nein, Lievito Madre wird nicht aus Honig oder Olivenöl gemacht. Und nein, Lievito Madre kommt nicht aus Italien
- Senza Impasto, No knead: Brot ohne Kneten – eine alte Technik aus Süditalien
- Wie stellt man einen Lievito Madre selber her? (dieser Beitrag)
- Lievito Madre täglich auffrischen und weitere Hinweise zur Pflege
- Lievito Madre durch Trocknung langzeitkonservieren
- Getrockneten Lievito Madre reaktivieren
- Rezept für ein perfektes Brot mit Lievito Madre – wie Sie es in keiner Bäckerei bekommen
- Eine Gärbox für den Sauerteig und Sauerteigstarter im Eigenbau
Lievito Madre-Diashow
Die Variante Li.Co.Li
Es gibt zwei Varianten von LM: Eine flüssige und eine feste. Der feste LM wird Pasta Madre Solida genannt, er hat eine teigige Konsistenz. Die flüssige oder besser: pastöse – Variante wird im Italienischen als li.co.li. bezeichnet (die Punkte sind kein Schreibfehler), was die Abkürzung ist für: lievito in coltura liquida.
Begonnen habe ich mit einem festen LM, fand aber schnell, dass dessen Pflege zu fehleranfällig war. Durch Zufall bin ich schießlich auf li.co.li., die flüssige/pastöse Variante, gestoßen: Seitdem unterteile ich mein Leben in zwei Phasen: die vor der Entdeckung des li.co.li und die danach.
Vor und Nachteile von Li.Co.Li
Li.co.li hat viele Vorteile:Er ist einfach herzustellen, idiotensicher zu pflegen und so stabil, dass er, einmal hergestellt, kaum tot zu kriegen ist. Darüberhinaus kann man ihn sehr einfach konservieren: Frisch gefüttert hält er mehrere Wochen in einem luftdichten Glas im Kühlschrank und lässt sich binnen weniger Tagen reaktivieren. Wer eine noch längere Backpause einlegen möchte, kann seinen kostbaren LM durch Trocknung mehrere Monate konservieren, was ich hier beschrieben habe.
Li.Co.Li hat leider einen Nachteil:Er verbraucht sein „Futter” so schnell, dass wir ihn jeden Tag mindestens einmal mit einer Gabe aus Mehl und Wasser auffrischen müssen. Wer öfter bäckt, hat damit kein Problem, wer nur alle heilige Zeiten einen Kipf Brot backen möchte, verbringt aber überproportional viel Zeit mit dem täglichen Refresh, von der Mehlverschwendung einmal ganz abgesehen.
Überblick: Ablauf der Herstellung eines LM in drei Wochen
- Zuerst setzt Du deinen Starter als LM aus Mehl + Rosinensud an. Ich habe mit Rosinensud gute Erfahrungen gemacht. Die Rosinen sollten unbehandelt sein, denn wir benötigen die Mikroorgamismen, die sich auf ihrer Schale befinden. Es gibt eine Art Turbo-Technik, bei der man Apfel- oder Melonenstücke für einen Tag bei Raumtemperatur in Wasser einweicht und dann diesen mit Hefen und Bakterien angereicherten Sud zum Ansetzen des Starter verwendet. Eine Leserin von Mybanto berichtete, dass ihr Starter mit eingeweichten Apfelstücken so extrem schnell in Schwung kam.
- Nach dem Ansetzen fühlen sich in der Mischung neben den nützlichen Hefen und Milchsäurebakterien auch unerwünschte und schädliche Keime wohl: Deren Aktivität kann sich in den ersten 2,3 Tagen sogar als unangenehmer Geruch bemerkbar machen. Mir ist das noch nicht passiert, aber ein Leser von Mybanto berichtete uns, dass die Gabe eines Teelöffels Joghurts und etwas Honig Abhilfe brachte.
- Ab dem dritten Tag machen die Milchsäurebakterien den Starter mit den von ihnen Milch– und Essigsäuren für die unerwünschten Keime zunehmend unbewohnbar. Die nützlichen Hefepilze kommen hingegen mit dem sauren Milieu gut zurecht.
- Bei normalem Verlauf sind die schädlichen Keime spätestens am 10. Tag von den Milchsäurebakterien vollständig verdrängt. Dein LM ist dann ungefährlich, aber die Konzentration der nützlichern Mikroorganismen ist insgesamt noch zu gering. Es ist zwar bereits möglich, einen Brotteig damit zu fermentieren, der Geschmack ist aber meist nicht überzeugend.
- Nach ca. 3 Wochen kannst Du mit deinem Starter Brotteig fementieren.
- Rechne aber noch weitere 1–3 Wochen ein, bis das mit deinem LM hergestellte Brot wirklich gut schmeckt.
- Der LM hört nie auf, sich zu entwickeln. Er wird mit der Zeit immer stabiler und besser – voraussgesetzt, Du behandelst ihn gut.
Benötigt man den Rosinensud wirklich?
Kompetenten Quellen zufolge, macht es keinen Unterschied, ob man Rosinensud oder irgendein anderes Impfsubstrat – oder nur mit Mehl und Wasser arbeitet. Immerhin enthält jedes Gramm Mehl zwischen 500.000 und 50 Millionen Keime! Es ist also so „kontaminiert”, so die Begründung besagter Quellen, dass die Mikroorgansimen aus dem Rosinensud völlig untergehen. Meine Meinung: Keine Ahnung: Die Argumentation ergibt Sinn. Ich bleibe dennoch bei der Rosinenechnik, die ich aus irgendeiner italienischen Quelle vor Jahren kritiklos übernommen habe, und die bei mir immer funktioniert.
Anleitung zur Herstellung eines LM LI.CO.LI
1. Wichtigste Voraussetzung: Eine Platz mit konstanter Temperatur idealerweise zwischen 25°C und 28°C
Ein gesunder, kräftiger LM ist ein stabiles Biosystem aus unterschiedlichen Mikroorganismen, die sich in einem dynamischen Gleichgewicht befinden. Für die Entwicklung und Aufrechterhaltung dieses Biotops sind konstante Bedingungen nötig: Schwankende Temperatur, unregelmäßige Fütterungszeiten, wechselnde Nahrung (Mehlsorten) stressen den LM und schwächen seine Fermentierungskraft. Ein LM wird nicht widerstandsfähiger oder aromatischer, wenn man sein Milieu nicht konstant hält.
Ich habe einen zugfreien Platz in meinem Badezmmer, der mit geringen Schwankungen stets zwischen 25°C-27°C aufweist. Verantwortlich hierfür ist eine in der Wand verlegte Wasserleitung, die konstant Wärme abgibt. Das (ansonsten bedauerliche) Fehlen eines Fensters ist für die Kultur meines LM sehr günstig, weil so keine Zug- oder Kaltluft aufkommt, die das LM-Biotop stressen könnte.
2. Benötigte Hilfsmittel
- Eine kleine Schüssel oder ein Meßbecher
- Klarsichtfolie
- Waage
- Günstig ist ein Laser-Thermometer
3. Zutaten
- Mehl, Typ 405
- Eine Handvoll ungeschwefelter Rosinen aus organischem Anbau
- Wasser ohne Chlor
4. Herstellung
Beachte, dass die folgenden Zeitangaben nicht in Stein gemeißelt sind. Dauer und der Zeitpunkt insbesondere der Phasen 3 und 4 sind idealtypisch und können bei Dir anders verlaufen.
Phase 1: Tag 0
- Eine kleine Handvoll ungewaschener Rosinen z.B. über Nacht in etwas Wasser einweichen. Es werden später ca. 50 ml des Rosinensuds (3,5 Eßlöffel) benötigt.
Phase 2: Tag 1
- Eingeweichte Rosinen absieben und ca. 50 ml Sud (3,5 Eßlöffel) reservieren. Der Sud enthält neben weiteren Mikroorganismen vor allem Hefepilze, die uns durch ihre CO2-Produktion später mit schönen Löchern im Brot erfreuen. Die Rosinen kannst Du verbacken oder essen.
- Setze nun den Lievito Madre aus dem Rosinensud mit 2-3 EL Mehl an, indem Du die Mischung nicht zu flüssig anteigst. Du kannst auch etwas Honig, und/oder Joghurt dazugeben, um das Spektrum der Mikroorganismen zu erweitern. Auch eine Prise Vollkornmehl kannst Du der Mischung beifügen. Aus der Umgebungsluft, den Küchengeräten, deiner Atemluft wandern weitere Bakterien und Hefen der Mischung zu: ein Albtraum für Lebensmittelchemiker und Apotheker, ein Gottesgeschenk für uns.
- Gib die Mischung in ein Glas und bedecke es mit Klarsichtfolie, in die Du ein paar Löcher stichst. Das Glas stellst Du an einen konstant warmen Ort, ideal ist ein Temperaturbereich zwischen 25°C und 28°C. Je kälter der Ort, desto länger benötigt die Mischung zu gären. Wenn der Platz zu warm ist, fermentiert das Gemisch zu ungleichmäßig, weil bestimmte Mikroorganismen bevorzugt werden.
Phase 3: Tag 2-5
- Die entscheidende Phase: Bei idealer Temperatur bildet die Mischung bereits an Tag 2 Bläschen. In diesem Fall kannst Du die Mischung am dritten Tag bereits etwas füttern. Dazu mischst Du ca. 30 ml Wasser (2 EL) bei Raumtemperatur mit 1 gehäuften EL Mehl (405) an und rührst dieses Futter in die angegorene Masse ein. Nachdem die Mischung wieder Blasen gebildet hat, kannst Du erneut wie zuvor füttern: Du kannst die Menge des Futters nun etwas erhöhen, indem Du 3 EL Wasser mit 1,5 EL Mehl anrührst. Am Anfang ist es jedoch wichtig, der Mischung immer nur etwas zuzufüttern. Später, wenn der LM stabil ist, kann man die Proportion des Futters drastisch erhöhen. Dieser Vorgang heißt dann aber nicht mehr Füttern sondern Auffrischen. Mehr dazu weiter untenWenn am Tag 2 noch keine Bläschen zu sehen sind, machst Du gar nichts, sondern wartest geduldig: Es haben sich noch nicht genug Mikroorganismen gebildet, die neues Futter verwerten könnten. Wenn sich nach 4 oder 5 Tagen noch nichts tut, ist der Platz wahrscheinlich zu kalt, an dem Du die Mischung kultivierst. Solange die Mischnung nicht verdirbt, indem sie z.B. von Schimmel befallen wird, kannst Du warten, bis der Ansatz Aktivität zeigt: Besser ist es jedoch, durch Wärme die Gärtätigkeit zu fördern. Verdirbt dir der Ansatz, fängst Du eingfach nochmal von vorn an.
Phase 4: Tag 6
- Am sechsten Tag kann dein Lievito Madre bereits so kräftig sein, dass Du vom Fütter-Zyklus in den Auffrischungs-Zyklus übergehen kannst. Während man beim Füttern dem LM nur etwas Mehl und Wasser (in jeweils gleichem Gewichtsanteil) zugibt, wird er beim Auffrischen mit der doppelten bis dreifachen Menge Mehl und Wasser seines Eigengewichts verrührt. Damit beim Auffrischen die Menge des LM nicht allzusehr wächst, wird immer nur ein Teil des Lievito Madre verwendet (der Rest muß leider weggeworfen werden).
Und so gehst Du beim Auffrischen vor: Vom aktuellen Lievito Madre entnimmst Du 30 g und mischt diese mit 30 g Wasser (Raumtemperatur, ca. 23°C) sowie 30 g Mehl. Diese Mischung lässt Du auf bewährte Weise in einem Glas mit gelöcherter Klarsichtfolie gären. Du mußt deinen Lievito nun täglich in diesem Verhältnis 30 g LM : 30 g Wasser : 30 g Mehl auffrischen. Später reduzieren wir den Anteil des LM beim Auffrischen noch weiter auf ein 20:40:40-Verhältnis (20 g LM, 40 g Wasser, 40 g Mehl).Nachdem Du ohnehin vorhast, Brot zu backen, ist es spätestens jetzt an der Zeit eine Waage zu kaufen, wenn Du noch keine hast. Auch wenn Du später die Mengen im Gefühl zu haben glaubst, solltest Du regelmäßig kontrollieren, ob Du dicht nicht doch etwas vertust.
Phase 5: Tag 7-15
- Du machst jetzt täglich mindestens einen Refresh. Dein Lievito wächst jetzt bei jedem Refresh innerhab weniger Stunden um das 2–3-fache. Erst am 10. Tag gilt der LM jedoch als sicher in dem Sinne, dass er frei von schädlichen Keimen ist. Seine Aromakraft entwickelt er frühestens nach 2 Wochen. Nach 10 Tagen kannst Du den LM aggressiver auffrischen. Statt 30:30:30 frischst Du nun nach dem 20:40:40-Verhältnis auf. Der LM sollte nun nach jedem Auffrischen sein Volumen in 3-4 Stunden mindestens verdoppeln.
Phase 6: Tag 16
- Ab heute kannst Du Brot backen, denn der Lievito Madre ist inzwischen stark genug: „Stark genug”, bedeutet, dass er eine ausreichend hohe Dichte an Mikroorganismen hat, die den Teig fermentieren können und dabei Aromastoffe freisetzen bzw. die Vorgängerprodukte, die beim Backen dann zu Aromastoffen werden. Ein einfaches Rezept, bei dem man nicht kneten muß, findest Du hier. Ab jetzt mußt Du Deinen Lievito Madre täglich füttern. Er wird nach ca. 30 Tagen sein volles Aroma erreichen.
Wenn dir das tägliche Füttern zu viel wird, kannst Du deinen LM konservieren und später rekativieren. Im nächsten Abschnitt Eine Pause einlegen beschriebe ich, wie Du hierfür vorgehst.
Die Wassertemperatur beim Aufrischen ab Tag 16
Die Temperatur des Wassers beim Anmischen ist evolutionstheoretisch gesprochen ein Selektionsfaktor. Sie entscheidet darüber, a) wie lange der LM benötigt, um seine maximale Ausdehnung zu erreichen und b) welche Mikroorganismen damit am Besten zurecht kommen. Manche verwenden 8°C kaltes Wasser, um zu verhindern, dass der LM zu schnell gärt und dazu führt, dass der LM mehrfach täglich aufgefrischt werden muß. Verwende ich 23°C warmes Wasser, muß ich den LM zwei mal täglich auffrischen.
Welche Konsistenz sollte der frisch angerührte LM haben?
Der frisch angerührte LM sollte nicht zu flüssig sondern eher pastös sein. Je flüssiger der LM, desto saurer wird er.
Eine Backpause einlegen
Für eine mehmonatige Konservierung durch Trocknung folgst Du den Anweisungen in diesen Artikel. Für eine kürzere, mehrwöchige, Pause kannst Du so vorgehen (ich habe den LM auf diese Weise 6–8 Wochen konserviert): Du füllst den starken, gerade aufgefrischen LM in ein sauberes, luftdichtes Glas mit Drehverschluss. Der LM arbeitet nun zwar weiter, aber sehr langsam. Nach ein paar Wochen ist die Nahrung aber verbraucht und es bildet sich auf der Oberfläche ein schmieriger Film abgestorbener Zellen. Jetzt ist höchste Zeit, den LM zu reaktivieren: Du gießt zuerst den schmierigen, wässrigen Film ab, dann entfernst Du die obere, graue Schicht. Darunter schaut der LM immer noch verhältnismäßig gut aus, er ist aber sehr schwach. Diese Schicht gibst Du in ein frisches Gefäß und fütterst sie im Verhältnis 30:20:20 mit Mehl und Wasser. Bei idealer Temperatur wird sich dein LM nach 1,2 Tagen durch Gärtätigkeit zurückmeldden. Du fütterst den LM weiter, er wird es dir danken, indem er mehr und mehr erstarkt: Schließlich gehst du, wie oben beschrieben, in den Auffrischungs-Zyklus über.
Mögliche Alternative Roggen-Sauerteigstarter im Kühlschrank:Lievito Madre ist ein dynamisches Thema, das Einen nie in Ruhe lässt. Jeder macht seine Erfahrungen, und was für den Einen funktioniert, ergibt für den einen Anderen wenig Sinn. Beispiel: Ein guter Bekannter von mir, dessen Erkenntnisse ich hier schnell schildern möchte, hat einen ganz anderen Rhythmus gefunden:Zunächst angesteckt von meiner Brotbackleidenschaft hat er sich ebenfalls an die Produktion seines LM gemacht. Nach viel Ausprobieren bewahrt er seinen Starter nun aber, anders als ich, stets im Kühlschank auf. Er macht einen Refresh nur 1,2 Mal pro Woche, Wasser bei Zmmertemperatur und verwendet auschliesslich Roggenmehl dafür. Das Brot selber bäckt er wie hier beschrieben. Das Ergebnsi sethet meinem Brot nicht nach.
Fazit: Probiere immer wieder aus, ob das, was jemand anders sagt, auch wirklich stimmt. Vielleicht geht es auf andere Weise doch einfacher und besser.
Sinnvolle Hilfsmittel*
Du benötigst für das Brotbacken und bei der Arbeit mit Lievito Madre bestimmte Hilfsmittel. Am wichtigsten ist eine Waage und eine große Teigschüssel mit Deckel sowie ein feuerfester Topf. Beide Geräte sind in ihrem Gebrauch nicht auf das Brotbacken begrenzt, sondern auch anderweitig einsetzbar. Gleiches gilt für den Messbecher und ein Laserthermometer.