In diesem Beitrag gehe ich der Frage nach, ob der teilweise hohe Aluminiumgehalt von Matcha (zu feinem Pulver gemahlener grüner Tee) als problematisch zu betrachten ist. Anlass war die Frage einer Leserin, was man in Japan, dem Herkunftsland und weltweiten Hauptverbraucher von Matcha, zu dieser „Problematik” denkt – und was meine Ansicht als Autorin von Büchern mit Matcha-Rezepten* dazu ist.
Die Quellen für diesen Beitrag sind im Text direkt verlinkt und am Ende zusätzlich aufgeführt. Die von mir in diesem Artikel postulierte Harmlosigkeit von Zubereitungen mit Matcha gilt a) für gesunde Menschen, b) bei in Japan üblicher Konsummenge und c) ansonsten gesunder Ernährung. Ob für Menschen z.B. mit einem Nierenleiden oder –schaden oder Dialysepatienten anderes gilt, klärt man besser mit einem Arzt ab.
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Wie wollen Sie es haben? Pauschal oder tiefschürfend?
Die Frage „Ist der hohe Aluminiumgehalt von Matcha ein Problem?“ beantworte ich in drei Ausführlichkeitsstufen: Superkurz, kurz und lang: Je nachdem, wieviel Zeit Sie mitbringen, können Sie sich also mit einer Pauschalaussage zufrieden geben oder meiner Analyse in jedes einzelne Detail folgen.
Wenn Sie nur anhand einer Tabelle ablesen wollen, wieviele Zubereitungen mit Matcha Sie konkret essen oder trinken dürfen, können Sie gleich zu diesen Beitrag springen. Aus der Tabelle in dem Beitrag geht hervor, wieviel eine gesunde Frau mit 55 Kg Körpergewicht pro Woche z.B. an Matcha-Keksen, Matcha-Tee, Matcha-Käsekuchen etc. zu sich nehmen kann und dabei weit unterhalb des Aluminumaufnahmegrenzwerts bleibt.
1. Superkurz – was man in Japan dazu denkt
In Japan wird allgemein angenommen, dass die Aluminiumaufnahme bei der für Japaner typischen Konsummenge von Matcha – inbesondere bei ansonsten gesunder – Ernährung absolut vernachlässigbar ist.
Wollen Sie es genauer wissen? Dann lesen Sie weiter.
2. Kurz
Es ist in Japan zwar allgemein bekannt, dass Tees im Allgemeinen und Matcha im Besonderen vergleichsweise hohe Mengen dieses für den menschlichen Körper nichtessentiellen Metalls aufweisen – in Japan ist diese „potentielle“ Problematik aber definitiv nicht Inhalt heißer Diskussionen oder effekthascherischer Artikel wie diesem von Ökotest. Grund: Japaner konsumieren Matcha nur in moderaten Mengen.
Bei der Betrachtung des Matcha-Grenzwertes ist zusätzlich auch die Aluminium-Grundlast zu berücksichtigen: Wer sich schlecht ernährt – also vom Abfall lebt, den die Nahrungsmittelindustrie als essbar in Umlauf bringt – nimmt mehr Aluminium auf, als Menschen, die sich gesund ernähren. Wer um Junk Food einen Bogen macht, kommt bei der Aluminiumzufuhr auf ein insgesamt geringeres Grundniveau – womit mehr „Luft“ bleibt zum Erreichen der diversen Grenzwerte für die wöchentliche Aluminiumaufnahme, die das WHO oder die EFSA (Europäische Amt für Lebensmittelsicherheit) – Link zeigt auf ein PDF-Dokument – in jeweils unterschiedlicher Höhe festgelegt haben (siehe weiter unten). Um mit Matcha auch nur den niedrigsten/strengsten Grenzwert zu erreichen, bedarf es eines übertriebenen Matcha-Konsums.
Zu beachten ist, dass der „Feind“ Aluminium gelegentlich aus unerwarteter Richtung zuschlägt: So kommt in bestimmten Impfstoffen Aluminium als preisgünstiger Immunitätsbooster zum Einsatz. Auch manches Backpulver wies früher einen enormen Aluminiumgehalt auf. Auch die Matcha=Superfood-Welle richtet in machen Fällen sicher mehr Schaden als Nutzen an.
Kurz-Fazit
Junk food-befreite Menschen mit normalem Matcha-Konsum sollten sich keine Sorgen über überhöhte Aluminium-Zufuhr machen.
Wollen Sie es genauer wissen? Dann lesen Sie weiter.
3. Lang
Auch ein gesunder Mensch kann durch eine dauerhaft überhöhte Aluminium-Zufuhr (großteils Nahrung) einen Gesundheitsschaden erleiden. Aluminium wird anders als Eisen, Selen und Kupfer nicht vom Körper benötigt und von Niere (95%) und Darm (5%) ausgeschieden. Bei einer Fehlfunktion der Niere und/oder einer erhöhten Aluminiumzufuhr kann es zu einer akuten oder chronischen Aluminiumvergiftung kommen. Die Folgen einer Aluminiumanreicherung im Körper (betroffen sind u.a. Organe, Nervensystem, Knochen) reichen von Knochenschmerzen über Lungenfibrose bis zu Nervenschäden, die sich in Demenz oder Sprachstörungen äußern. Der Zusammenhang zwischen Alzheimer und Aluminium gilt bislang als unbewiesen.
Relevante Grenzwerte
Der Aluminium-Grenzwert wird als „erlaubte wöchentlichen Aufnahme“ in Milligramm Aluminium pro Kilogramm Körpergewicht ausgedrückt, dem sog. TWI („tolerable weekly intake“). Das Europäische Amt für Lebensmittelsicherheit, EFSA, und das WHO kommen zu jeweils unterschiedlichen TWIs: Während die Alchemisten vom EFSA auf 1 mg Aluminium pro Kg Körpergewicht (pro Woche) kommen, gehen die Zauberlehrlinge vom WHO von einem doppelt so hohen Grenzwert aus, nämlich 2 mg pro Kg Körpergewicht pro Woche.
Der Grenzwert der EFSA von 1,0 mg ist ein aufgerundeter Mittelwert des sog. LOAEL (1,2 mg) und NOAEL (0,7 mg). Der NOAEL ist der Wert, zu dem sicher keine Schaden beobachtet wurde, der LOAEL ist der niedrigste Wert, zu dem noch ein Schaden beobachtet wird.
Gut, schön zu wissen. Aber was bedeuten diese Werte in der Praxis? Um dieser Frage nachzugehen, müssen wir beim Auslöser der Matcha-Aluminium-Panik beginnen: der Pressemeldung einer deutschen Behörde.
Wenn eine Behörde auf Matcha losgelassen wird
In einer Pressemeldung des Bundesinstituts für Risikobewertung, BfR, bzw. deren Weiterverbreitung in den deutschen Medien, wurde auf den hohen Aluminiumgehalt von Matcha hingewiesen. Die Risikobewertung ist auf der Website der Behörde verfügbar, und fairnesshalber ist zu sagen, dass die Behörde insgesamt nicht dramatisiert und eher ihre Informationslosigkeit offen bekundet: So weiß die Behörde nicht, wieviele Menschen wieviel Matcha konsumieren und wieviel Aluminium somit in den Körper der Bevölkerung gelangt. Die eigentliche Angstmache erfolgt dann durch die Panikmedien wie z.B. Ökotest, die die Pressemeldung nur wiederkäuend mit einer abstrakten Mahnung versieht, aber keine konkreten Anhaltspunkte liefert, was das Papier des BfR in der Praxis bedeutet.
Die Mybanto-Analyse
Das BfR hatte drei Matcha-Proben auf deren Aluminiumgehalt untersucht. Diese lagen bei 1743, 1775 und 2350 Milligramm (mg) pro Kilogramm Matcha. Ein 20 g Döschen enthielte im höchsten Fall also 47 mg Aluminium. Frage: Ist das schlimm? Wieviel darf ich denn nun essen? Um eine Antwort geben zu können, berechnen wir, wieviel Matcha (mit dem höchstem vom BfR gemessenen Aluminiumwert) eine Frau mit 55 Kg Körpergewicht pro Woche zu sich nehmen darf, um unterhalb der Grenzwerte von der EFSA und WHO zu bleiben. In einem zweiten Schritt schauen wir uns an, wieviel Matcha in Form von Tee, Keks, Rolle, Plätzchen, Financiers oder Käsekuchen die Dame zu sich nehmen darf. Bevor wir uns an die Rechnung machen können, benötigen wir noch die sog. Aluminium-Grundlast.
Die Aluminium-Grundlast
Wir benötigen zur Berechnung der (in den Augen einer Behörde) tolerierbaren Matcha-Menge noch einen weiteren Wert: die durchschnittliche Aluminiumaufnahme eines Konsumenten, der sich nach westlicher Lebensart ernährt. Das mit dem Matcha aufgenommene Aluminium ist dieser Grundlast dann hinzuzurechnen. Wir haben Glück, denn es gibt diese Studie oder Einschätzung, mit der wir die Grundlast auf ca. 50 % des TWI durch Nahrungsaufnahme festlegen. Im Falle der Frau mit 55 Kg Körpergewicht gehen 23,5 mg wöchentliche Aluminiumaufnahme auf das Konto der gewöhnlichen Ernährung, womit noch 23,5 mg Luft bis zum Erreichen des Grenzwerts bleibt (wenn man den EFSA-Grenzwert verwendet).
Damit können wir losrechnen um herauszufinden, wieviel Matcha bzw. mit Matcha zubereitetes Süßwerk in diese 23,5 mg wöchentliche Aluminiumkontingent passen.
Um die Rechnung etwas allgemeiner zu machen, berechnen wir die Höchstmengen gleich für drei Grenzwerte, den NOAEL-Wert der EFSA (0,7 mg Al / Kg), den offiziellen TWI-Wert der EFSA (1,0 mg Al / Kg), sowie den offiziellen TWI-Wert der WHO (2,0 mg Al / Kg).
Rechenbeispiel: Frau mit 55 Kg Körpergewicht
In Tabelle 1 sind die Schritte zur Berechnung des „Matcha-Toleranzwerts” aufgeführt.
Ich gehe für jeden Grenzwert von einer anderen Grundlast aus. Das ist etwas kontraintuitiv, und man könnte das auch anders machen, indem man für alle Grenzwerte die gleiche Grundlast verwendet. Da mir diese aber nicht bekannt ist, bestimme ich die Grundlast grenzwert-relativ. An der grundsätzlichen Aussage des Artikels ändert diese Vorgehensweise nichts.
In Tabelle 2 ist die „erlaubte“ wöchentliche Menge an Matcha in Gramm pro Grenzwert aufgeführt. Allen Werten liegt die konservative Annahme zugrunde, dass der Matcha den höchsten Aluminiumanteil der drei vom BfR gemessenen Proben hat. Wenn man also einen Matcha mit geringerem Aluminiumanteil hat (was man in der Regel nicht weiß), darf man mehr davon grenzwert-konform konsumieren und umgekehrt.
In Tablle 3 ist für diverse Matcha-Zubereitungen die pro Woche „erlaubte“ Menge berechnet. In diesen Wert geht der erlaubte Matcha-Toleranzwert aus Tabelle 2 ein und die Matcha-Mengenangaben, die ich in meinen Büchern für meine Matcha-Rezepte verwende (diese Matcha-Rezeptmengen sind hier nicht aufgeführt).
Tabelle 1: Berechnung des Matcha-Toleranzwerts
Der Matcha-Toleranzwert bestimmt, wieviel Aluminium in Form von Matcha man zusätzlich zur Aluminium-Grundlastaufnahme (im Zuge der täglichen Nahrungsaufnahme) aufnehmen darf, um immer noch unter dem jeweiligen Grenzwert zu bleiben. Je strenger der Grenzwert ist, desto geringer ist der Matcha-Toleranzwert.
Grenzwert | EFSA (NOAEL) | EFSA (offiziell) | WHO (offiziell) | |
TWI-Wert | 0,70 | 1,00 | 2,00 | mg / Kg Körpergewicht |
Erlaubte Grundlast | 38,50 (55 x 0,7) | 55,00 (55 x 1) | 110,00 (55 x 2) | mg / Woche |
Matcha-Toleranzwert | 19,25 | 27,50 | 55,00 | mg / Woche |
Tabelle 2: Erlaubte wöchentliche Aufnahmemenge für Matcha pro Grenzwert
Grenzwert | EFSA (NOAEL) | EFSA (offiziell) | WHO (offiziell) | |
Erlaubte wöchentliche Matcha-Aufnahmemenge | 8,19 | 11,70 | 23,40 | Gramm pro Woche |
Tabelle 3: Erlaubte wöchentliche Aufnahmemenge für diverse Matcha-Zubereitungen abhängig vom Grenzwert
Grenzwert | EFSA (NOAEL) | EFSA (offiziell) | WHO (offiziell) | |
Matcha-Tees (Koicha) | 4-8 | 6-12 | 12-24 | Tassen |
Matcha-Käsekuchen | 6 | 7 | 14 | Stück |
Matcha-Eclairs | 7 | 9 | 18 | Stück |
Matcha-Rolle | 5 | 6 | 12 | Stück |
Matcha-Kipferl | 40 | 50 | 100 | Stück |
Matcha-Biskuits | 50 | 60 | 120 | Stück |
Kein Grund zur Panik
Wie an Tabelle 3 sieht, darf man auch beim strengsten Grenzwert (den wir uns in Unterbietung des offiziellen Grenzwert der EFSA selber auferlegt haben) z.B. 6 Stück Matcha-Käsekuchen pro Woche aufnehmen, 50 Matchabiskuits oder nicht weniger als 7 Matcha-Eclairs. Welcher Mensch nimmt auf Dauer diese Mengen zu sich? Auf jeden Fall kein „normaler” Japaner.
Der Berechnung der Werte liegt, um das zum x-ten mal zu betonen, die Annahme zugrunde, dass der verwendete Matcha den maximal gemessenen Aluminiumgehalt aller vom BfR gemessenen Proben hat (2350 mg / Kg). Hat dein Matcha weniger Aluminium, was selten angegegen wird, kannst Du noch mehr Matcha-Zubereitungen essen.
Und Mybanto?
Ich backe selber viel mit Matcha und verwende ihn für Desserts aller Art. Als Beweis verweise ich auf meine vier Bücher, in denen ich ausgiebig von diesem edlen Material Gebrauch mache. Aber auch wenn ich in bestimmten Phasen täglich mit Matcha zu tun habe, vergehen oft Monate, in denen ich keinen Matcha verwende. In diesem Sinne ist es aus meiner Sicht fast nur mit mutwilliger und dauerhafter Fehlernährung möglich, sich mit Matcha einen gesundheitsgefährdenden Aluminiumüberschuss einzuhandeln.
Eine japanische Studie hat gezeigt, dass industriell verarbeitete Nahrungsmittel z.T. deutlich höhere Mengen an Aluminium enthalten als gesundes Essen. Wer also mit Abfallnahrung seine wie auch immer definierte, maximal tolerierbare Aluminiumzufuhr bereits ausreizt, der kann sich theoretisch mit übermäßigem Matcha-Konsum – siehe Superfood-Welle – einer schleichenden Aluminiumvergiftung aussetzen. Was wäre in diesem Fall aber die Ursache der Vergiftung? Die Matcha-Dosis? Die schlechte Ernährung? Oder beides? Die Beantwortung dieser Frage überlasse ich Ihnen.
Schlußbemerkung
Wer nicht dauerhaft schlechte Ernährung (hoher Aluminiumgehalt in industriell hergestellter Nahrung) mit einer gleichfalls dauerhaft-drastischen Matcha-Überdosis (Superfood-Hysterie) kombiniert, kann davon ausgehen, dass er sich keiner Matcha-bedingten Grenzwertüberschreitung bei der wöchentlichen Aluminiumzufuhr aussetzt. Es ist zwar nicht auszuschließen ist, dass es Zeitgenossen gibt, die genau das fertigbringen (insofern ist die Warnung des BfR nicht völlig unberechtigt), wir genießen aber nach diesem Exkurs in die Abgründe der Grenzwertalchemie ohne schlechtes Gewissen unser Matcha-Eis, unsere Matcha-Eclairs oder, zur Weihnachtszeit, unsere Matcha-Kipferl.
Quellen
https://www.labor-karlsruhe.de/lv/?module=analyte&action=einzel&id=292
https://apps.who.int/food-additives-contaminants-jecfa-database/chemical.aspx?chemID=6179
https://ec.europa.eu/health/sites/health/files/scientific_committees/scheer/docs/scheer_o_009.pdf