Meine erste Vera Pizza Napoletana habe ich am 2. November 1987 in Spaccanapoli, einem Stadtteil Neapels gegessen. Ein junger Kerl, auf einem Moped herangebraust, verkaufte an Vorbeikommende oder bereits Wartende pizzaähnliche Teigplatten aus einem Korb, der auf dem Gepäckträger seines Gefährts festgezurrt war. Die Kunden warfen einen 1000 Lire-Schein (ich vermisse diese Zeit) in einen Pappkarton, worauf der Verkäufer eine Teigplatte in braunes Papier wickelte und dem Kunden in die Hand drückte. Das Ganze ging wortlos vor sich, effizient, schnell. Ich tat es den Leuten nach, warf meinerseits einen 1000er in die Kiste, lässig, als ob ich in Neapel geboren wäre, und bekam ebenfalls ein Stück. Ich ging ein paar Schritte zur Seite, um es mit meiner Partnerin zu teilen. Als wir nachkaufen wollten, war der Kerl schon weg.
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Die richtige Pizza
Die pizza-oideTeigplatte bestand aus einem dicken, saftig-schaumigen, leicht salzigen, weich-elastischen, teilweise angebrannten Boden bzw. Rand, bedeckt mit viel Tomatensoße, etwas Mozzarella und Basilikum – und war natürlich eine Pizza Napoletana. Ob es der Jungfrau Maria oder San Gennaro, dem Schutzheiligen der Stadt, zu verdanken war: Mir wurde die Gnade der Pizza zuteil. Ich hatte das Original gegessen. Nicht den Abklatsch, den man weltweit unter der Fehlbezeichnung „Pizza” verkauft. Die richtige Pizza, die Pizza Napoletana, die einzige Pizza. Seit einigen Jahren gibt es eine geschützte Herkunftsbezeichung und eine „Associazione Vera Pizza Napoletana”.
Man findet Restaurants, die dieser Tradition verpflichtet sind und die Vera Pizza zubereiten, inzwischen auf jedem Kontinent. Japan hat mehrere Dutzend dieser Pizzerien, in Deutschland, gab es bis vor kurzem nur eines: Das Restaurant Pergola in Kaufbeuren. Italien hat ebenfalls in jeder größeren Stadt Lokationen, die die Vera Pizza kredenzen. Ich habe natürlich nicht Alle ausprobiert, aber doch Einige: Mehrere stationäre und mobile Stellen in Neapel, Lecce, Osaka, Kaufbeuren, um nur einige zu nennen. Alle waren gut. Zum Sterben köstlich war die Pizza jedoch nur an zwei Orten: In Neapel und im Restaurant Pergola in Kaufbeuren. Die Pizza in Osaka ist übrigens deutlich kleiner, wie alles in Japan, und entspricht etwa einer Seniorenportion.
Pizza Napoletana hat nichts zu tun mit der oft unter der Bezeichung Pizza Napoli auf Speisekarten von Standardpizzerien firmierenden Version, die neben Tomaten mit Kapern, Sardellen und Oregano bestückt sind.
Die Kunst
Die Kunst, eine Pizza Napoletana zu backen, kann man sich nicht mal eben so aneignen. Es ist seriöses Handwerk, das sich sehr mühsam erlernt. Im Pergola ist es ein Mann aus Sorrent namens Carmine. Der Pizzaiolo mit der besten Pizza Napoletana, die ich je gegessen habe. Und ausnahmsweise weiß ich, wovon ich rede. Ich backe selber seit Jahren Brot mit Lievito Madre, das beste Brot nördlich der Alpen (um hier auch den letzten Anschein von Bescheidenheit preiszugeben). Ich dürfte es leider nicht verkaufen, weil ich keinen Meistertitel habe. So kommen nur meine Familie, Nachbarn und Freunde in den Genuss meines Brotes.
Gewiss, wer Pizza Napoletana produziert, kämpft in der oberen Profi-Gewichtsklasse, während ich nur Hobbybrötler bin. Aber dennoch – gerade weil ich weiß, wie schwierig es ist, konstant Qualität mit Lievito Madre zu liefern, komme ich nicht umhin, Künstler wie Carmine zu verehren. Fanatiker, Berufene, Wahnsinnige, Verfallene, Getriebene, wenn es um die Qualität ihres Produktes geht, handelt es sich bei gleichsam um eine andere Spezies, zumindest aber um eine andere Kategorie Mensch, der man es im Gespräch nicht anmerkt, dass sie – Knechten einer selbstauferlegten Mission gleich – gar nicht anders können, als Tag für Tag, Jahr für Jahr von früh bis spät mit und für ihren Teig leben. Ich übertreibe nicht, denn Maestro Carmine soll auch um 3 Uhr nachts nach seinem Teig sehen, wenn es die Umstände erfordern.
Lievito Madre und 450 °C
Pizza Napoletana wird mit Weizenmehl-Natursauerteig gemacht, dem schon erwähnten Lievito Madre (Abgekürzt LM). Dieser Sauerteig ist nicht zu verwechseln mit dem Roggensauerteig, mit dem man hierzulande deliziöses Brot bäckt, welches neben der Breze (nur die mit Feinsalz, nicht die Version mit grokörnigem Salz, auf die man in München so stolz ist) eines der wenigen Dinge ist, mit denen Deutschland einen Welternährungspositivbeitrag leistet. Der Umgang mit Natursauer ist in der Tat eine Meisterangelegenheit, wobei seine genaue Zusammensetzung kein Geheimnis, sondern schlicht nicht ausreichend erforscht ist. Die Pizza schmeckt also schon deswegen immer etwas unterschiedlich, weil die Zusammensetzung des LM nie identisch ist. Das ist übrigens der Hauptunterschied zur Standard-Pizza, deren Teig mit Bierhefe angesetzt wird, und deren Geschmacksnuancen sich zu denen von Natursauerteig-Pizza verhalten wie der Liebreiz von Greta Thunberg zu dem von Penelope Cruz. Panettone, der italienische Weihnachtsstollen, wird übrigens ebenfalls aus Lievito Madre gemacht, allerdings wird dieser anders kultiviert als der für Pizza. Pizza auf Basis von LM schmeckt nur leicht säuerlich, so leicht, dass es Viele erst wahrnehmen, wenn man sie darauf aufmerksam macht.
Der Ofen für die Pizza muß 450 °C haben, damit der Teig in wenigen Minuten aufgeht, dabei weich, elastisch und feucht bleibt, aber aussen schon stellenweise karbonisiert. Typisch für das Aussehen ist der dicke Rand aus grobporigen Brot, dessen Geschmacksspektrum bei Empfänglichen – die mit ihm das erste Mal in Kontakt kommen – einen Offenbarungsschock auslösen kann. Banausen erkennt man daran, dass sie den köstlichen Rand abschneiden und liegenlassen, um nur den mit Tomatensoße belegten Innensektor zu verzehren. Welch eine Sünde!
Von wegen „hauchdünn”
Um es kurz zu machen: Richtige Pizza ist nicht „hauchdünn”. No Sir. Sie hat einen dicken, ja geradezu brotigen Rand, und einen verhältnismäßig dünnen Boden, was daran liegt, dass der Boden, beschwert mit Tomaten und Käse, natürlich weniger aufgeht. Immerhin haben Sie jetzt das Handwerkszeug an der Hand, Blöker von Kennern zu unterscheiden. Immer dann, wenn jemand Sie mit „hauchdünn” langweilt, wissen Sie: Sie haben einen Blöker vor sich. Als Belag benötigt man lediglich Tomaten, Käse, Basilikum. Als Käse empfiehlt sich der Mozzarella mit Kuhmilch, auch als Fior di Latte bezeichnet. Belegt man die Pizza nämlich mit Büffelmozzarella, wird sie nicht nur zu schwer – der Eigengeschmack des Büffelmozzarellas kollidiert doch etwas mit dem Geschmacksspektrum des Teigs.
Fazit
Sie wissen, was zu tun ist, wenn Sie Qualität wollen: Sie reservieren einen Platz im Pergola – und nehmen zu dem Termin nur Menschen mit, die was vom Essen verstehen und wissen, wie man sich am Tisch benimmt. Leider ist die Lokalität unweit der Bundesstrasse 12 ohne Auto nicht leicht erreichbar. Im Sommer sitzt man schön draussen, erwarten Sie aber insgesamt bitte kein gelacktes Shi-Shi-Ambiente, in dem sich Münchner Rechtsanwalts- oder Immobilienmakler-Typen wohlfühlen würden oder wo sie von Schwarzhemden stillos mit einer überteuerten Weinkarte genervt werden: Man sitzt (innen) auf soliden Plastikstühlen und konzentriert sich allein auf die Pizza.
In München gibt es Stand November 2019 zwei (mir bekannte) Lokationen, die mit Lievito Madre-Pizza oder Napoli-Stil-Pizza auf sich aufmersam machen. Ich habe Beide probiert. Namen nenne ich nicht, nur soviel: Die eine Lokation, in Schwabing, ist einigermaßen akzeptabel, kann aber Carmine nicht das Wasser reichen, während die Andere, am Viktualienmarkt gelegen, den Besuch nicht lohnt.
Dann halt eine Pizza Norcina
Kombinieren Sie den Besuch des Pergola ggf. mit einem Besuch des Kemptner Wochenmarkts am Mittwoch oder Samstag vormittag. Zu empfehlen ist die Ziegenkäserei Leiner, oder der Stand vom Müller, der erstklassiges Biogeflügel verkauft. Abgesehn von dem Markt – der allein allerdings einen Besuch lohnt – gibt es nicht so viel, was diese Stadt zu bieten hat. Ein kurzer Schlenderer durch die Innenstadt, ein Besuch der Basilika, das wars dann schon. National berühmt ist sicher die Krähenplage im Stadtpark, der täglich mehrere tausend Menschen rund um dir Uhr ausgesetzt sind und deren Seelenheil einer völlig verblödeten Krähen-sind-schützenswerter-als Menschen-Ideologie geopfert werden.
Der ohnehin schon nicht besonders ausgeprägte Charme der Stadt hat doch arg Federn gelassen, als die Fußgängerzone gleichsam entvölkert wurde, weil eine Combo aus Lokalfürsten auf der Suche nach Profit das Geschehen der ehemals quirligen Fußgängerzone in eine potthässliche, gesichtslose „Mall” am ehemaligen „Alten Bahnhof” verlegt hat.
Tipps
- Pergola verkauft auch Teig. Nehmen Sie doch ein paar Teiglinge mit nach Hause.
- Buchen Sie einen Pizza-Kurs, aber geben Sie sich nicht der Illusion hin, man würde damit zum Pizzaiolo.
- Neapolitaner sollen die Pizza auch kalt oder zum Frühstück essen.
- Ich nehme mir bei einem Besuch immer eine Ration für den nächsten Tag mit. Die Pizza lässt sich in wenigen Minuten am besten in einer beschichteten Pfanne aufwärmen und schmeckt hervorragend.
- Brot und Pizza aus Natursauerteig halten länger als mit Hefe zubereitete.
Kontakt
Restaurant Pergola
www.pergola-ristorante.de
Email: info@pergola-ristorante.de
Telefon: 08341 993907
Mauerstettener Str. 50,
87600 Kaufbeuren/Allgäu
Kauf ein, aber kauf sinnvolles Zeug*
Zum Aufwärmen einer Pizza brauchst Du eine große Flache Pfanne wie die hier von mir Angepriesene von Tefal. Ich verwende sie selber, nur die Farbe des Griffs ist etwas anders. Die anderen drei Geräte: Messbecher, geriffelter Mörser, Ingwerreibe – werden dein Leben verändern, wie Du es dir nicht vorstellen kannst – und wie ich es z.B. hier, hier oder hier dokumentiert habe.